Kurz:

Der Rebell unter den Superhelden zerstückelt Hollywood mit frecher Zunge und reichlich Zynismus.

Lang:

„Deadpool“ war immer der Querulant in der Marvel-Landschaft. Seine durchgeknallte, irrationale und brutale Art passt nicht ins düstere, aber doch Teenie-gerechte Marvel-Universum. Wohl aber genau deswegen erlangte „Deadpool“ innert kürzester Zeit eine hohe Aufmerksamkeit und wurde von den Comic-Nerds mit offenen Armen empfangen.

Bekannt ist der Superhelden-Punk wegen seinem losen Mundwerk und seiner Gabe messerscharfe, zynische Kommentare im Minutentakt abzufeuern. Die Zoten des „Mercs with a mouth“ weisen eine immens hohe Trefferquote auf und machen deutlich, dass die Macher dieses anarchischen Action-Spektakels viel Leidenschaft in Figur und Materie gesteckt haben, allen voran Ryan ReynoldsNachdem Reynolds bereits 2009 in X-Men Origins: Wolverine eine (ziemlich missglückte) Inkarnation des in rotschwarz gekleideten Superhelden auf die Leinwand brachte – und ihm dort ausgerechnet seine Schnauze, also seine schärfste Waffe zugenäht wurde – konnte Reynolds nach langem Kampf sein Passionsprojekt endlich in diesem Jahr ins Kino bringen. Und seine Inkarnation treibt der Marvel-Fanbase Freudentränen in die Augen. Reynolds ultimativer Deadpool ist nämlich laut, vulgär und alles andere als jugendfrei. Und alle Achtung: der Mut zur Absurdität und Selbstironie steht Marvel sehr gut. (Zudem passt das Timing perfekt, stellte sich doch – bei mir jedenfalls – langsam eine Marvel-Fatigue ein.)

Somit bescherte uns „Deadpool“ nicht nur die witzigste Marketingkampagne seit langem, sondern auch einen verdammt originellen Superhelden-Film mit unwiderstehlicher Gag-Dichte. Nichts ist vor dem Plappermaul sicher, die popkulturellen Referenzen sind unzählbar, beinahe im 1/2-Minuten-Takt werden Seitenhiebe verteilt. Besonders amüsant sind die Winks in Richtung Marvel-Universum („McAvoy or Stewart? These timelines can get so confusing.“) oder die 90er-Jahre („I’m gonna do to your face what Limp Bizkit did to music in the late 90s!“). Diese Popkulturzitate sind das Herz des Streifens und heben den Film auf ein eigenes Level.

Die verbalen Ausbrüche sind politisch herrlich unkorrekt und derb. Das R-Rating ist diesbezüglich mehr als verdient. Trotzdem fehlte der Mut, den Streifen zu einem vollumfassenden Rated-R-Fest zu mutieren. So hat Twentieth Century Fox im Bereich des Splatter-Fun wohl oder übel seine Abstriche gemacht. Hauptsächlich fliesst CGI-Blut und der Gore-Faktor ist auf sehr bescheidenem Niveau. Wie schon bei „Mad Max: Fury Road“  kommt der leise Verdacht auf, dass ein bisschen mehr explizites Gemetzel positiven Einfluss auf den Gesamteindruck ausgeübt hätte. Mittlerweile ist Gore ja sogar soweit kommerzialisiert, dass er auch in Oscar-Anwärtern („The Revenant“) seinen nötigen Platz eingeräumt bekommt, um die Brutalität und Rohheit fett zu unterstreichen. Bei „Deadpool“ hätte damit der Spassfaktor und die politisch Unkorrektheit nochmals nachhaltig unterstrichen werden können. Eine verpasste Chance. (Oder warten wir mal auf die unausweichlichen Special-Editions fürs Heimkino.)

„Deadpool“ langweilt zu keiner Sekunde. Die Action-Sequenzen sind dynamisch eingefangen, die Schläge sitzen und die Choreographie passt wie die Faust aufs Auge. Zudem lässt der grandiose Soundtrack und die vielen Popkulturzitate die Zuschauer nie zur Ruhe kommen. Es ist unmöglich still oder gelangweilt im Kinosessel zu sitzen. Von der Geschichte her bleibt auch „Deadpool“ ein klassischer Mainstream-Film mit anscheinend unvermeidlichem Happy-End (hey, James Gunn hat es doch mit seinem anarchischem Heldenfilmchen „Super“ vorgemacht, wie’s auch gehen könnte!) der sich aber gehörig zum Fenster raus lehnt und dabei nur gewinnt. Weiter so, Hollywood.

Rating 4 out of 5

 

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4 thoughts on “Deadpool (2016)

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