Kurz:

Eine traumatisierte junge Fotografin versucht mit Hilfe von Hypnotherapie die Erinnerung an einen Unfall wiederherzustellen. Als sie dabei auf den Namen Tomie stösst, wird plötzlich eine Verbindung zu unzähligen Suizid- und psychisch bedingten Verwahrungsfällen offenbar. Und ja, da ist auch noch ein Kopf im Plastiksack…

Lang:

Tomie geniesst als Verfilmung von Junji Ito‘s gleichnamigem Manga und als klassischer J-Horror Streifen bei Genrefans schon längst Kultstatus. Die Popularität der Comicreihe führte ausserdem dazu, dass Ito’s Quellenmaterial heute bereits neun Mal filmisch adaptiert wurde. Tomie (1999) ist dementsprechend die erste Umsetzung, welche u.A. von Tomie: Replay (2000) und Tomie: Re-birth (2001) gefolgt wurde, um nur Zwei der grössenteils unsäglichen Sequels/Prequels zu nennen.

Ataru Oikawa (Tokyo Psycho (2007), Tomie: Revenge (2005), Tomie: Beginning (2005)) führt uns im Rahmen seines Drehbuches und unter seiner Regie in eine düstere und kafkaeske Version Japans im urbanen Setting und bannt eine verstörende Atmosphäre auf Film. Ähnlich wie wir es von vielen prominenten Vertretern des J-Horror der 90er und frühen 2000er kennen (und leider anders als bei den späteren US-Export Versionen), verlässt sich Tomie alleine auf Atmosphäre und verzichtet gänzlich auf sog. jump-scares. So gelingt es Oikawa mittels einer langsam entfaltenden, jedoch nicht minder fesselnden Geschichte, dem Zuschauer ein flaues Gefühl im Magen zu bescheren. Dies ist auch die Stärke des Filmes, welcher fast ausschliesslich mittels Cinematographie und ohne explizite Gewaltdarstellung (von einem abgetrennten Kopf im Plastiksack mal abgesehen) den Horrorfaktor erzeugt. Um sich ein extremes Gegenbeispiel mit gleichem Jahrgang vor Augen zu führen empfiehlt der Autor Takashi Miikes Meisterwerk Audition (vgl. auch Art or Trash Cinema Podcast – Ep. 2).

Ein wichtiger Faktor im filmischen Konstrukt von Tomie ist die musikalische Untermalung. Diese ist nämlich signifikant minimalistisch gehalten, was der Atmosphäre aber keinerlei Abbruch tut. Im Gegenteil, die Abwesenheit von Musik während grossen Strecken des Filmes, trägt zur Surrealität des Settings bei. Wenn die Musik dann aber doch einsetzt, dann sorgt der repetitiv verwendete, verlangsamte und tiefer transponierte Pop-Song für audiovisuelles Schaudern der besten Art.

Das Drehbuch von Tomie gilt als ausserordentlich treu hinsichtlich der Vorlage von Junji Ito. Während die Story trotz relativ simpler Ausgestaltung, im Rahmen eines 90min. Filmes absolut funktioniert, leidet der Film leider an einem allzu bekannten J-Horror Symptom. Der Autor nennt dieses Phänomen liebevoll das sog. „off-the-rails ending“, welches sich darin auszeichnet, dass die letzten 15-20 min. des Filmes das erzählerische Konzept über Bord werfen und der bizarrsten Seite der Fantasie freien Lauf gelassen wird. Tomie hält den Zuschauer jedoch trotzdem, auch durch das Ende hinweg bei der Stange und belohnt mit einer starken Schlusseinstellung.

Während mit späteren Tomie-Adaptionen das schauspielerische Talent exponentiell abnimmt, sind die Darsteller in der Originalversion noch äusserst glaubwürdig. Miko Kanno (Tomie), welche man bereits aus Takeshi Kitano’s Dolls kennt, liefert eine verstörende Performance ab, die sich durchaus sehen lassen kann. Es ist hier anzumerken, dass die Rolle der Tomie im japanischen Film als unglaublich begehrt gilt, analog bspw. zu der französischen Emmanuelle. Mami Nakamura (bekannt aus Sion Sono’s Love Exposure (2008)) überzeugt ebenfalls als verletzliche Protagonistin Tsukiko. Zu guter Letzt darf man Tomorô Taguchi (Tetsuo, the Iron Man (1989)) nicht vergessen, welcher mit seinen über 200 Acting-Credits stets eine gute Leistung auf die Leinwand bringt.

Alles in allem gelingt Oikawa mit Tomie ein Machwerk, welches im Westen leider (noch) nicht die Anerkennung erhalten hat, welches es verdient. Mit einer etwas stromlinienförmigen Geschichte, die jedoch anregend erzählt wird und die mit äusserst verstörenden Sequenzen aufwartet, kann sich Tomie in den Reihen der grossen J-Horror Vertreter durchaus sehen lassen. Darauf hat auch die eine oder andere Absurdität, die Kenner des japanischen Horrors i.d.R. lieben und schätzen, keinen negativen Einfluss.

Fazit:

Tomie punktet mit subtilem Horror und überzeugt als atmosphärischer J-Horror Geheimtipp. Mit ein bisschen “suspension of disbelief“ ein Hochgenuss. Für solche die bereits Fans von J-Horror sind ein absolutes Standardwerk; für solche die es noch werden wollen, sicherlich ein starker Einstieg in dieses Genre.

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4 thoughts on “Tomie (1999)

  1. Herzlichen Dank für die Rezension. Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt mir diesen Film im Rahmen eines japanischen double features anzuschauen. Nun steht dem nichts mehr im Weg.

    1. Gerne. Lässt sich gut mit Uzumaki paaren, was ja auch eine Junji Ito Adaption ist. Viel Spass!

    1. Genau, ich bin schon länger stolzer Besitzer der US-Komplettausgabe. No regrets!

      Da hast du leider Recht. Allerdings kann man sich vlt. darüber streiten ob ein BD-Release nötig ist, da der „grimey“ look des Originals darunter evtl. leiden könnte. Trotzdem wäre eine ordentliche Version davon sicherlich wünschenswert. Ich persönlich besitze alle Filme von einem deutschen DVD-Label, welches erstaunlicherweise ungeschnittene Fassungen der Tomie-Reihe publiziert hat.

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