Tja, Covid macht natürlich auch unserem Lieblingsfestival einen dicken Strich durch die Rechnung. Und dies noch im Jubiläumsjahr. 20 Jahre NIFFF, im Jahr 2020 notabene. Eigentlich hätte alles gepasst. Hätte.
Klar lassen wir das Festival auch in dieser quarantänereichen Zeit nicht hängen. Unsere Autoren haben sich gemütlich zuhause auf den Sofas eingerichtet und sich munter durchs NIFFF-Programm geguckt. Dabei sind folgende Reviews entstanden:
Schalf (Autor: Ronny Kupferschmid)
„Schlaf“ ist das Regiedebut von Michael Venus. Sandra Hüller (Toni Erdmann) spielt in diesem deutschen Thriller eine psychisch kranke Mutter, welche von Alpträumen gejagt wird. Nach Einlieferung in die Psychiatrie liegt es an ihrer Tochter (Gro Swantje Kohlhof) zu klären, ob die Leichen im Keller der Bewohner des beschaulichen Steinbach für den Wahn ihrer Mutter verantwortlich sind. Die Cinematographie und das Sounddesign erinnern an die Hit-Serie „Dark“. Like! Leider kann sich die Story nicht zwischen Psychothriller und Geistergeschichte entscheiden. Ausnahmslos top gespielt – auch unser Lieblings-Schweizer-Schauspieler Max Hubacher („Der Läufer“, „Der Hauptmann“, „Mario“) liefert wiedermal ab. Bild und Ton erzeugen einen tollen, unbequemen Sog, trotzdem hat uns der Streifen schlussendlich ratlos zurückgelassen. Es bleibt spannend, was der Regisseur Venus als nächstes aus seiner Schublade zaubert.
VHYes (Autor: Dr. Elwood Stantz)
Stellt euch vor, ihr kommt um 2 Uhr betrunken nach Hause, legt eine alte VHS-Kassette ein, die seit Ende der 80er nicht mehr entstaubt wurde. Auf dem Video entdeckt ihr eine Hochzeit, die teilweise durch das Nachtprogramm eines lokalen Senders und Amateuraufnahmen eines Jungen überspielt wurden. Nach wenigen Minuten schläft ihr ein. In eurem Kopf wird ein Alptraum abgespielt, der durch das Video, dass weiterhin läuft, beeinflusst wird. So in etwa kann man VHYes von Regisseur Jack Henry Robbins zusammenfassen. Es ist eine Collage von gemimten Retro-Segmenten, die witzig wirken und zeitgleich verstören. Witzig, weil die Situationen oft absurd sind und der ganze schlechte Geschmack der 80er in den Vordergrund gedrängt wird. Und verstörend, da die Bilder einem an die eigene Kindheit erinnern und uns gedanklich in eine vertraute Umgebung befördert, bis abrupt das wohlige Gefühl durch Gewalt und eine Prise Surrealismus zerstört wird. Nebst dem Ganzen werden aber in den 72 Minuten auch politische Themen angesprochen, wie beispielsweise die Klimaerwärmung, Gastarbeiter und Tape-Narzissmus. Letzteres lassen wir euch selbst durch den Film entdecken. Ein Film ist das jedoch nicht.
Dinner in America (Autor: Ronny Kupferschmid)
„Dinner in America“ ist der vierte Film von Regisseur/Drehbuchautor Adam Rehmeier. Wenn der Punk-Rock-Roadtrip nach recht langsamen Start doch noch Fahrt aufnimmt, erreicht der Streifen ansatzweise das Niveau einer gelungenen Quirky Comedy à la Napoleon Dynamite. Gewürzt mit einer Prise Bonnie-&-Clyde-Vibe und Punk-Rock-Attitude zieht der Film seine Stärke aus grotesken Situationen und deren Komik. Doch leider spielt er sein Ass selten konsequent aus und zu oft werden die herzlich gutgemeinten Ansätze unter profaner Vulgarität des unsympathischen Hauptcharakters begraben. Aber hey, war sehr schön Lea Thompson wiedermal in einem Film zusehen.
Drakulics Elvtárs (Autor: Dr. Elwood Stantz)
Inmitten der 70er Jahre wird der Genosse Fábián in Budapest für sein antifaschistisches Lebenswerk geehrt. Den Fábián war zuletzt an der kubanischen Revolution beteiligt. Aber irgendwas stimmt hier nicht. Denn der Genosse ist höchsten 40 Jahre alt und Fidel Castro bereits über 50. Das Geheimnis muss von der Geheimpolizei gelüftet werden. Wer sonst kommt da in Frage.
Ein ungarischer Agententhriller aus der Perspektive der östlichen Seite des Eisernen Vorhanges. Der Humor ist sehr trocken und entsprechend urkomisch. Besonders die alten, sowjetischen Gepflogenheiten und die ungarische Küche, welche ohne Knoblauch nicht auskommt, werden aufs Korn genommen. Sehenswert, jedoch nicht vergleichbar mit „What we do in the Shadows.“
The 20th Century (Autor: Dr. Elwood Stantz)
Der Werdegang des ehemaligen, kanadischen Premierminister W.L. Mackenzie King wird so erzählt, als wäre er Alice im Wunderland oder Dorothy im Land der Munchkins.
Ein überaus eigensinniges und sonderbares Biopic, welches uns durchwegs unterhalten hat. Besonders die stilistische Bildsprache mit warmen, natürlichen Lichtquellen und den kalten geometrischen Formen in der Kulisse haben uns gefallen. Als hätte sich Wes Anderson an einer Hommage an „Das Kabinett des Dr. Caligari“ versucht. Die Satire hat uns angesprochen, jedoch haben wir diese als Nicht-Kanadier nicht vollumfänglich verstanden. Besonders den frankophonen Teil. Ach ja, und die Samenergüsse des Kaktus sind sehr widerwärtig. Unsere Entdeckung und ein kleiner feiner Geheimtipp für alle Freunde surrealer Filmkunst.
VFW (Autor: Ronny Kupferschmid)
VFW steht für Veterans-of-Foreign-Wars. Im Zweitlingswerk von Joe Begos treffen sich ein paar Kriegsveteranen in einer Bar um den Geburtstags ihres Leithammels (Stephen Lang) zu feiern. Leider haben sie die Rechnung ohne die Horde Junkies gemacht, die auf Pub-Schlägerei aus sind.
Das Regisseur Begos gut in Sachen Splatter und Gore kann, hat er uns bereits am letztjährigen NIFFF mit Bliss ausdrücklich bewiesen. Leider ist VFW kein zweiter grosser Wurf. Es reicht halt nicht, mit dem Vorschlaghammer dem Zuschauer Körperteile und Enthauptungen zu servieren, ohne auch nur den Anflug einer plausiblen Story vorzuweisen. So ging unser Interesse an den Protagonisten rasch flöten. Schade um den wundervollen Nostalgie-Cast rund um Lang, William Sadler (T2), Fred Williamson (From Dusk Til Dawn) und Martin Kove (The Karate Kid). Eine Enttäuschung.
Blood Machines (Autor: Boris Ischi)
Zwei Blade Runner jagen einem abstürzenden Raumschiff hinterher, um eine darin enthaltene, künstliche Intelligenz zu fangen. Diese materialisiert sich nach dem Absturz zu einer menschlichen Frau. Die Verhaftung gelingt zwar, aber der Gefangenen kommen eine ganze Horde ihresgleichen zu Hilfe und der Spacetrip geht erst richtig los…
Blood Machines ist die direkte Fortsetzung zum Musikvideo Turbo Killer von † Carpenter Brut † ebenfalls gedreht von Regisseur Seth Ickerman. Der packende, spacige Style wurde übernommen und nun in einen 5o minütigen Kurzfilm konvertiert, welcher via Crowdfounding finanziert wurde. Wer den Synthie-Sound mit schnellem Beat der obigen Band mag, wird Blood Machines lieben. Denn der Film ist genau betrachtet eigentlich ein überlanges Musikvideo, das mehrere aktuelle Songs von † Carpenter Brut † präsentiert. Trotz ultrakurzem Handlungsfaden lädt der Film so dennoch zu einem coolen Trip ein.
Hitman: Agent Jun (Autor: Boris Ischi)
Ein abgetauchter und vom südkoreanischen Geheimdienst für tot erklärter Top-Agent (Sang-Woo Kwon) beginnt ein neues Leben mit Frau, Tochter und Job als Web-Comiczeichner. Da seine Kreationen aber immerzu nur negative Kritiken ernten, beginnt der frustierte Jun eines Abends unter Alkoholeinfluss damit, die Abenteuer aus seinem früheren Leben zu zeichnen und landet einen Volltreffer! In seinem Elan lässt er allerdings auch eindeutige Details aus seinen geheimen Missionen einfliessen und schon bald hat er nicht nur die Regierung, sondern auch seine alten Widersacher, angeführt von Psychopath Jason, am Hals. Zeit also, mit der Vergangenheit endgültig „aufzuräumen“!
Regisseur Won-Sub Choi präsentiert mit Hitman: Agent Jun seinen zweiten Kinofilm, bei dem er erstmals auch am Drehbuch mitschrieb. Wie bei vielen südkoreanischen Filmen üblich, lässt sich auch dieser mehreren Genres zuordnen. Zusätzlich werden animierte Sequenzen, welche die Vergangenheit Jun’s erläutern sollen gekonnt eingeflochten und mit sauber choreografierten Actionszenen garniert. Dazu ergänzend wurden kleine, feine Gags im asiatischen Stil eingebaut. Leider kränkelt der Film spätestens ab der zweiten Hälfte an seiner Überlänge, die sowieso schon dünne Story wirkt dadurch allzu vorhersehbar und das Finale verzettelt sich schliesslich mit zu vielen Figuren und ihren einzelnen Konflikten; kann aber immerhin mit einer unerwarteten Wendung aufwarten. Hitman: Agent Jun vermag sich nicht von der Konkurrenz abzuheben, bietet aber dennoch eine willkommene Abwechslung mit frischen Gesichtern zum altbekannten Action-Einheitspamp von Hollywood, Netflix & Co.
Detention – Fanxiao (Autor: Boris Ischi)
Der kalte Krieg hat 1962 auch Taiwan fest im Griff. An einer Highschool lesen eine Gruppe und Schüler und Lehrer daher heimlich im Hinterzimmer kommunistische Bücher aus dem Ausland. Da diese Lektüre die vom Staat erzwungene, bedingungslose Fahnentreue ins Wanken bringen würde, riskiert der Bücherclub damit die Todesstrafe. Eines Nachts erwachen die beiden Schüler Chong-tin (Mengo-Po Fu) und Ray-shin (Gingle Wan) als einzige Verbleibende im Schulhaus. Nach und nach wird klar, dass der Buchclub aufgeflogen sein muss, es muss also einen Denunzianten geben. Zudem werden sie von bösen, gewalttätigen Geistern verfolgt und je mehr sie aufdecken, desto mehr verändert sich auch das Verhältnis zwischen ihnen selbst.
Die Verfilmung des gleichnamigen Videospiels von 2017 setzt gekonnt auf übernatürlichen Psychohorror, Regisseur John Hsu setzt zu diesem Zweck gekonnt längere Retrospektiven ein, welche in die Vergangenheit der Charaktere blicken lassen, ihre Zusammenhänge näher erläutern und auch das damalige Denken des Volkes zu erklären versuchen. Die zusätzlich eingebaute Bedrohung durch Geister lässt den Film etwas surreal erscheinen und mindert den Bezug zur damaligen Realität. Die ebenfalls gezeigten politischen Elemente hätten für eine Aufarbeitung vollends ausgereicht. Nichtsdestotrotz erhielt Detention bereits verschiedene Auszeichnungen und ist damit absolut sehenswert!