Kurz:
Ein Wahnsinns-Film.
Lang:
Arthur Fleck muss unten durch: Als Clown verdingt er sich in den dreckigen Stassen von Gotham City, wird verprügelt, ausgelacht und bekommt jeden Tag aufs Neue zu spüren, dass seine Existenz nichtig zu sein scheint. Der einzige Trost in seinem brüchigen Leben ist seine Mutter, die er hegt und pflegt und der grosse Traum, eines Tages als Stand-Up-Comedian die Menschen zu erheitern.
Denn trotz heftigen Stimmungsschwankungen, die ihn jeden Tag aufs Neue erschüttern und quälen, will er unterhalten. Doch die Welt lässt das nicht zu. Arthur fällt immer mehr, immer tiefer und wird schliesslich zu jener Kreatur, die als Joker in Gotham City für Angst und Schrecken sorgt. Der Weg dorthin ist ein Psychotrip, der mit berauschenden Bildern und einer kongenialen Schauspielleistung von Joaquin Phoenix die Zuschauer für zwei Stunden in die Sessel drückt.
Die Empathie kocht
„Joker“ ist ein brachialer Origin-Story-Film, der intensiv ins Gesicht schlägt und vor allem der amerikanischen Gesellschaft radikal den Spiegel vorhält. Egal ob Bildungs-, Finanz- oder Gesundheitssystem, alle Ungerechtigkeiten, die ein Mensch zweiter Klasse erleiden und erdulden muss, werden offenbart. Gleichzeitig ist es eine Charakterstudie eines Menschen, der mit psychischen Problemen zu kämpfen hat, keine Hilfe bekommt und immer mehr von der Gesellschaftsnorm abdriftet. Das alles erweckt Mitleid und die Empathie ist am kochen.
Doch ehe man die Mitgliedschaft im Joker-Team für ewig unterschrieben hat, wirft uns Regisseur Todd Phillips mit einem heftigen Schubser zurück in die Realität. Denn als Arthur die Grenzen überschreitet und in die Welt der Illegalität und der nackten Gewalt stolpert, wenden wir uns angeekelt vom Antlitz dieses irren Zeitgenossen ab. Und trotzdem bleibt ein Sympathie-Stückchen haften. Das verwirrt und ist zugleich beängstigend.
Wo ist Batman?
Wir alle wissen: Wo der Joker herumschleicht, kann Batman eigentlich nicht weit sein. Der lachende Schurke und der dunkle Ritter sind auf ewig miteinander verbunden. Der eine kann nicht ohne den anderen. Das ist durchaus eine seltsame Beziehung, aber es geschehen nun mal auch seltsame Dinge im guten alten Gotham City.
„Joker“ spielt während einer Zeit, in der Batman noch gar nicht existiert. Dennoch nimmt der Film teilweise, in sehr kleiner Dosis, Bezug zum kommenden, unvermeidlichen Aufstieg des Helden in Schwarz. Wie genau, das soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Es werden heilige Dinge von ihrem Marmorsockel geholt und auf den dreckigen, versifften Strassenboden geworfen. Das ist verdammt mutig und wird gleichzeitig vielen nicht gefallen.
Ein ganz neues Level
Ohne Zweifel ist „Joker“ die bis jetzt realistischste Comicverfilmung, die je über die grosse Leinwand flimmern durfte. Auch wenn Figuren und Handlung im Batman-Universum angesiedelt sind, wird hier vielmehr ein Psychodrama kredenzt, das sich wohlig vom Populärkultur-Einheitsbrei weit, weit entfernt. Es ist der Warner-DC-Gruppe von Herzen gegönnt, dass sie sich mit diesem Film von der gängigen Marvel-Formel verabschiedet und einen komplett anderen Weg eingeschlagen hat.
Doch wie weiter? Werden die Macher jetzt konsequent bei den nächsten Filmprojekten auf den harten Realismus pochen? Wird dieses Fanal vielleicht auch auf das Marvel Cinematic Universe überschlagen? Oder wird „Joker“ ein einmaliges Ereignis bleiben, das in die Filmgeschichte eingeht? Sicher ist nur, dass dieses bissige Werk das Genre der Comicverfilmung auf ein ganz neues Level gehievt hat. Und das war bitter nötig.
Fazit
Dieses Lachen. Dieses irre, bis ins Mark vordringende Lachen, es hallt noch lange nach. Diese intensiven Bilder. Diese sich ins Hirn brennenden Bilder, sie bleiben noch lange haften. Diese Stimmung. Diese beklemmende Stimmung, die mit jeder Minute noch bedrückender wird, sie ist immer noch da. „Joker“ ist schlicht ein Wahnsinns-Film mit starkem Arthouse-Touch, der dem ausgelutschten Genre der Comicverfilmung endlich neues Leben einhaucht. Ein gewaltiges Bilderrausch-Psychodrama der ganz besonderen Art.
Well played, Warner Bros. und DC Comics. Well played!