Kurz:

Ein Trip wird zu einem Trip.

Lang:

Was ist nur mit Ari Aster los? Der Regisseur und Drehbuchautor muss tief in seinem Inneren so einige Baustellen haben, die er mittels seiner Filmkunst versucht zu sanieren. Schon bei Hereditary waren viele von seiner intensiven, zuweilen einfach nur grotesken Filmsprache fasziniert, gleichzeitig aber auch etwas angeekelt und schliesslich komplett überfordert. Seine Mixtur aus tiefenpsychologischem Horror und Bildern des Schreckens verhalf dem angestaubten Genre, das seit Jahren unter Ideenlosigkeit und plakativer Gewalt leidet, wieder zu neuem Glanz. 

Mit seinem neusten Trip, und das ist wortwörtlich gemeint, bleibt Herr Aster seiner Machart durchaus treu, schaltet aber nochmals mehrere Gänge zurück. Das wird nicht allen gefallen, zumal die Laufzeit von etwa 2.5 Stunden viel Geduld erfordert. Aber jede einzelne Filmminute lohnt sich.

Wenn die Beziehung kaputt ist

Dani (eine Wucht: Florence Pugh) hat es wirklich nicht leicht. Eine heftige Tragödie in der Familie bricht die junge Frau. Ihr Noch-Freund Christian (bekannt aus irgendeinem Transformer-Film: Jack Reynor) ist zwar nach dem Drama für sie da, aber auch irgendwie nicht. Denn die Beziehung der beiden ist total kaputt. 

Ein spontaner Trip nach Schweden soll die Lücken und Risse wieder schliessen. Ein Freund lädt die beiden und andere Reisewilligen ins sonnige Nordland ein, um in einem abgelegenen Örtchen dem legendären Mittsommerfest beizuwohnen. Dort angekommen trifft die Truppe nicht nur auf überaus gut gelaunte und sehr, sehr freundliche Menschen in bequemen Gewändern, sondern auch auf uralte Traditionen, für die man sehr viel Toleranz aufbringen muss.

Man möchte selber laut schreien

Zu Beginn ist alles noch sehr idyllisch und die Harmonie scheint direkt aus dem fruchtbaren Boden zu wachsen. Man tauscht sich aus, nimmt an der täglichen Arbeit teil und lässt sich auf nette, noch harmlose Rituale ein. Doch unter der Erdoberfläche brodelt es gewaltig. Die Reisegruppe wird immer tiefer in einen Kult hineingesogen, der seit Jahrzehnten diverse Gräueltaten für selbstverständlich hält. Und trotzdem scheint sich Dani in dieser neu gefundenen Familie immer wie wohler zu fühlen.

Der Zuschauer mag es schon zu Beginn erahnen, dass bald alles eskalieren und die heilige Welt in einem Fass voller Blut ertränkt wird. Aber mit welcher Machart der Horror im sonnigen Schweden seine Perversionen den Beteiligten ins Gesicht wirft, das ist die grosse Kunst von Midsommar. Bild für Bild wird eine Spannungskurve aufgebaut, die sich in eine Ekstase verwandelt, die man so schnell nicht wieder vergessen wird. Einzelne Schockbilder brennen sich ins Gehirn, Gänsehaut-Klänge durchrütteln den Körper und Kameraeinstellungen sorgen für Nervosität, so dass man selber laut schreien möchte. Die Kameraarbeit von Pawel Pogorzelski ist wahrlich meisterhaft und kann, ja muss, bejubelt.

Einfach ins Gesicht schlagen

Behutsam und sirupartig ergiesst sich der Horror über dieses freundliche Örtchen, das unter der strahlenden Sonne nichts Böses erahnen lässt. Doch wie wir mittlerweile wissen, lässt es Ari Aster besonders gerne lange brodeln und nimmt sich Zeit für Figuren, Schauplätze und eben auch für den Horror. 

Nüchtern betrachtet ist Midsommar auch ein simples Liebesdrama, in dem die Trennung zweier Menschen kompromissloser nicht sein könnte. Um den abscheulichen Kult herum tänzeln zwei Herzen, die sich einmal geliebt haben, jetzt aber an einem Punkt der Antipathie angekommen sind. Und dennoch schleicht die Hoffnung um die Häuserecken, dass ein böser Trip die Liebenden wieder vereinen wird. Aber wir wissen ja: Ari Aster schlägt den Zuschauern lieber mehrmals ins Gesicht, als zwei Wesen lachend über eine Blumenwiese hüpfen zu lassen.

Fazit

Jede einzelne Einstellung, jede Dialogzeile und jeder Soundschnipsel sind so perfekt aufeinander abgestimmt, dass die Genialität, und auch der Wahnsinn, des Regisseurs permanent durchsickern. Für viele mag er es mit der Länge und dem Spannungsaufbau übertrieben haben. Auch der Schlussakt wird manche schlicht und einfach überfordern. Aber Midsommar ist ein Film, der langsam aufgesaugt, genossen und schliesslich verdaut werden will. Wer sich darauf nicht einlassen möchte, verpasst einen intensiven Trip. Wer sich darauf einlässt, wird einen Film erleben, der in seinem Gedächtnis noch für eine Weile kleben bleibt.


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