Kurz:
Egozentrischer Starchirurg baut Autounfall, pilgert nach Nepal und mutiert zu Neo 2.0.
Lang:
Ein bisschen Superhelden-Chumbawamba, ein Hauch Matrix-Mystik und tonnenweise Inception-Optik, fertig ist der zweite Streifen aus der dritten Marvel Phase. Leider schafft es auch „Doctor Strange“ nicht ganz mich aus der Marvel-Fatigue zu rütteln. Aber der Reihe nach.
Die Filmadaptation rund um den „Vertrauensarzt der Nerds“ (© Sidekicks) lungerte bereits lange Zeit im Wartesaal vor sich hin. Ein erster Gehversuch in Richtung Operationsaal wurde schon 1986 unternommen, doch dieser und weitere kollabierten frühzeitig. Bevor sich der TV-Sherlock-Holmes den Doktorkittel überstülpen konnte, waren beispielsweise Tom Hardy, Ethan Hawke, Ewan McGregor oder Keanu Reeves potenzielle Kittelträger. Glücklicherweise fiel die Wahl aber auf Benedict Cumberbatch. Der „behinderte Stapel“ (so cumber/batch gemäss leo.org) passt perfekt in die Rolle des exzentrischen Neurochirurgen.
Leider ist aber die Geschichte von „Doctor Strange, wie bei vielen anderen Superhelden-Vehikeln ziemlich dürftig. Der eingangs erwähnten Kurzversion gibt es eigentlich nicht mehr gross etwas hinzuzufügen. 50 Minuten lang begeben sich die Zuschauer mit dem Protagonisten auf dessen Origin-Story. Diese besteht grösstenteils aus wild gestikulierenden Menschen, welche zwischen Shaolin-Tanz und Yoga-Session hin und her pendeln und sich irgendwelchen esoterischen Nonsense an den Kopf werfen. Glücklicherweise wird der ganze Schwachsinn von einem visuellen Augenschmaus flankiert. Nichtsdestoweniger erinnert das Ausbildungscamp der „The Ancient One“ (Tilda Swinton) dennoch oft an eine rustikal eingerichtete Folterkammer, in welcher Madame Etoile ihre Jünger im LSD-Rausch ins Nirvana labert.
„Doctor Strange“ überzeugt in erster Linie auf der optischen Ebene. Wer „Inception“ vor allem wegen seiner eindrücklichen Bildsprache schätzte, kommt hier definitiv auf seine Kosten. Und zwar sowas von. „Doctor Strange“ bietet Inception-Kämpfe hoch 10! Innert Sekundenbruchteilen werden Wände zu Böden, Decken zu Fallgruben, aus vorwärts wird rückwärts. Kurz: die Naturgesetze werden ausser Gefecht gesetzt. Und trotzdem verliert der Zuschauer nie die Übersicht. Chapeau, wenn der Streifen rockt, dann rockt er! (Wir verzeihen dem Film sogar seinen horrenden GCI-Anteil.)
Ebenso erstaunlich ist, dass Regisseur Scott Derrickson, bekannt für den zutiefst bösen „Sinister“ und den blutigen „Deliver Us From Evil“, „Doctor Strange“ eine angenehm humorvolle Note einverleibt, (Thor lässt grüssen). Besonders der rote Umhang des Arztes, Nerds nennen ihn den „Cloak of Levitation“, stiehlt mit seinem pubertären Eigenleben dem Oberzauberer beinahe die Show. Der Humor steht dem Streifen gut. Besonders in Szenen in welcher sich Strange und Co. durch die Astralwelt prügeln oder Strange den Oberboss auf ulta-masochistischste Art und Weise in die Knie zwingt, machen „Doctor Strange“ auch abseits der Hau-Drauf-Ästhetik interessant. Und in einer kleinen Szene, nennen wir sie mal „Knochenbiegen mit Le Chiffre“, darf Derrickson sogar seine Horror-Wurzeln referenzieren. Selbstverständlich im PG13-Mantel verpackt.
Cumberbatch macht seine Sache gut, doch wie steht es um die anderen A-List-Schauspieler?
- Rachel McAdams kriegt definitiv zu wenig Screen-Time,
- Chiwetel Ejiofor wird (noch) massiv unterbeschäftigt,
- Tilda Swinton kanalisiert ihren inneren Aang und
- Mads Mikkelsen wirkt aufgedunsen, steht aber auch meist nur doof im Bitz rum, funkelt mit seinen von Mascara ersäuften Augen und brummelt mit üblem Akzent irgendwelchen Schmarren, so von wegen „Zealot“, „Dromammu“, „Agamotto“, „Watoomb“ oder „Raggadorr“. (Nein, diese Wörter haben wir nicht soeben erfunden, die gibt’s wirklich, frag deinen Nerd-Freund.)
Fazit:
„Doctor Strange“ ist kein „Winter Soldier“, glücklicherweise aber auch kein „Avengers – Age of Ultron“ oder „Iron Man 2“. Wer Eye-Candy mag, wird satt. Der Streifen gehört auf jeden Fall in die obere Tableau-Hälfte der Marvel-Filme. Für einen Podestplatz reicht es aber nicht.
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