Kurz

Endlich ein Film, der sich dem Rudersport widmet? Das konnte sich mein Ruderclub natürlich nicht entgehen lassen und organisierte exklusiv eine geschlossene Vorführung in Biel.

Lang:

Einwassern

Mit meinem Club im Kino. Mal wieder. Allerdings für dieses eine Mal nicht mit der Kultmoviegang, sondern mit der französischsprachigen „Gang“ namens Société Nautique Etoile Bienne, welche als alt ehrwürdiger Sportverein gleich mit einer zirka 120 köpfigen Zuschauermannschaft jeden Alters zu dieser Kinoregatte angetreten ist. Eingeladen wurden auch Mitglieder unserer befreundeten Ruderclubs aus Biel und Neuenburg. Ein Film, der den Weg einer Rudernationalmannschaft an die Olympischen Sommerspiele dokumentiert – das konnten wir uns nicht entgehen lassen!

Wie viele der KMG bereits wissen, ist das Rudern seit einigen Jahren mein favorisierter Lieblingssport dem ich genauso treu bin wie dem Kino. Das Feeling, mit man beim Rudern über das Seewasser gleitet ist meiner Meinung nach bei kaum einer anderen Sportart zu finden. Interessiert? Riecht jemand eine schamlose Übertreibung? Oder ist gar neugierig geworden? Bitte: https://www.sneb.ch/ Ok, dahingleiten geht auch auf einem Stand Up Paddle, aber sehen die dabei etwa so kraftvoll und elegant aus wie wir Ruderer? Na bitte…

Runde Geburtstage

Wie eingangs erwähnt, wird der Film im Rahmen eines von meinem Ruderclub organisierten Screenings präsentiert. Also ebenfalls ausserhalb des regulären Kinoprogramms und ähnlich exklusiv wie die Best- Worst-Perlen der KMG.

Obwohl die KMG heuer ihr 10 jähriges Bestehen feiert und die SNEB bereits 130 Jahre zählen kann, war die Organisation eines Kinoevents für unseren Sportverein absolutes, noch nie betretenes Neuland, welches aber dank beherzter Organisation seitens des Comitées und der freiwilligen Mithilfe einiger Mitglieder vor Ort souverän gemeistert wurde.

So kam es also, dass wir Ruderer an einem Sonntagmorgen für ein mal nicht auf den beweglichen und kleinen Rollsitzen unserer Boote Platz nahmen, sondern in den bequemen, roten Sesseln des Bieler Kinos Lido.

Normalerweise verbinde ich meine beiden geliebten beiden Hobbies bewusst nicht in aller Öffentlichkeit miteinander, doch da  sich die Felder meiner Vereine mit diesem Anlass dermassen überschneiden, der gezeigte Film zudem eine positive Überraschung darstellt, wage ich mit diesem Review ausnahmsweise den Spagat.

Keine Trailer vor dem Film, dafür als Begrüssung ein spiegelglatter Bielersee, der jedes Ruderherz höher schlagen lässt…

Keine Memberkärtli und keine Bar im Foyer, dafür ein von uns veranstaltetes Apéro nach dem Film

Möglich gemacht haben diese exklusive und geschlossene Vorführung für uns Ruderer die sehr guten Verbindungen eines Clubmitglieds zur Cinevital AG/SA, welche Kinos in Biel, Neuenburg und anderen Städten in der Romandie betreibt. So kam es dann auch, dass die «Grande Dame» des Bieler Kinos Edna Epelbaum kurz vor der Vorstellung im Foyer zugegen war und ein paar Hände schüttelte. Im gleichen Gebäude welches auch ein Bieler Kino beheimatet aufgewachsen, teilte Epelbaum von klein auf die Leidenschaft ihres Vaters, trat als CEO der Cinevital AG an seine Stelle und ist seither auch in vielen weiteren regionalen, cineastischen Bereichen mit Herzblut engagiert und darum auch weit ausserhalb unserer Region bekannt.

Finanziert wurde unser Anlass durch eine „Hutspende“ im Kinosaal. Inspiriert notabene von den Ruderern im Film, welchen die Finanzierung von offizieller Seite verweigert wird und die anschliessend ihre Teilnahme an den olympischen Spielen durch Spenden sammeln selbst ermöglichen. Glücklicherweise mussten wir nicht die gleiche Summe wie unsere angehenden Olympioniken zusammen kriegen, dennoch wurde jede Spende gern gesehen – war die geschlossene Vorführung für unsere Clubmitglieder doch schliesslich gratuit!

Ins Boot

Konnte der Regie-Quereinsteiger und vor allem als Schauspieler bekannte Mr Nespresso aka George Clooney mit seinem neuesten Werk denn nun einen Spitzenplatz einfahren oder war der Film für uns richtige Wassersportler einfach nur kalter, gekapselter Kaffee mit schalem Nachgeschmack?

Anrudern

Produziert wurde der Film von den MCM Studios, welche ja nun zu Amazon gehören, eine Liaison, die in der jüngeren Vergangenheit vermehrt in der Kritik stand. Nicht nur die Fans von James Bond befürchten mit der Übernahme der Rechte von Amazon eine kommerzielle Ausschlachtung der Figur. Aber lassen wir das…

Fakt ist, dass George Clooney auch hinter der Kamera auf dem Regiestuhl eine sehr gute Figur macht – what else? Ist er doch auch in dem Gebiet bei leibe kein Neuling. Ihm zur Seite stand Drehbuchautor Mark L. Smith, der sich in den Anfängen seiner Karriere vor allem mit Horrorfilmen wie Séance (2006) und Operation: Overlord (2018) einen Namen gemacht hat. Vermehrt wurde kritisiert, Smith habe aus der Buchvorlage ein Drehbuch gemacht, welches zu stark auf packende Sportszenen und schön anzusehende Gesamtaufnahmen setze, anstatt sich mehr auf reale Fakten zu stützten.

Clooney untermalt mit gekonntem Händchen und Feingefühl in den dramatischen Regatta-Momenten die Szenarie mit der passenden Musik, welche zwar zum Mitfiebern animiert, aber vom Takt her dennoch nicht allzu schnell ist. Schliesslich soll ein passender Soundtrack zwar den Zuschauer mitreissen, aber nicht seinen Puls hochschnellen lassen wie den unserer Wettkämpfer während einer Regatta.

Patzer leistet sich Clooney als detailverliebter alter Hase des Filmbusiness kaum. Nur ein winzigkleiner Goof sei am Rande erwähnt: einen Moment lang hält einer der amerikanischen Riemenruderer ein modernes Ruder der Marke Croker, dessen schwarzer Schaft aus schwarzem Karbon besteht. Ein Material, das damals noch nicht existierte.

Finale

In Berlin im Nazi-Deutschland des Jahres 1936 angekommen, fängt die Kamera die omnipräsenten Hakenkreuz-Fahnen möglichst kurz ein, zeigt uns dafür wunderbare, ausgedehnte Szenen der Regatte aus der Vogelperspektive. Besonders diese Bilder mögen den meisten Zuschauern gefallen, da die Boote auf dem Wasser mal ein anderer Anblick sind als die bereits sattsam gezeigten Spielfelder beim Fussball oder Basketball. Sportarten, denen ja bereits zahlreiche Filme gewidmet wurden.

Selbst wenn Clooney bei Kameraführung und optischer Inszenierung keinen eigenen Stil à la John Woo definiert hat, scheint die bewusste Unschärfe des Bildes zu Beginn einer Eingangsszene allmählich zu seinen bevorzugten Stilmitteln zu gehören. Die Unschärfe dient wohl dazu um die Spannung zu erhöhen, bis man auf der Leinwand das gesamte Geschehen scharf erkennen kann. Auch in The Monuments Men (2014) ist sie kurz zu finden.

Auch wenn sie nicht allzu dick aufgetragen ist, funktioniert die klassische Underdog-Geschichte dennoch: Acht Jungs aus ärmlichen Verhältnissen werden aus zahlreichen Bewerbern auserkoren und von Trainer Al Ulbrickson (Joel Edgerton) zum Team geschmiedet, Joe Rantz (Callum Turner) sticht als Identifikationsfigur hervor, zudem ist er der Einzige, über den mehr erzählt wird. Eigentlich wollte der völlig verarmte Student genau wie seine Kameraden anfangs einfach nur einen Job, um Unterkunft und Ausbildung bezahlen zu können. Grosse Veränderungen im Leben der einzelnen Figuren sucht man vergebens, der Film begnügt sich damit, die Jungs als eingeschweisste Mannschaft im Achter zu zeigen, geht aber auf niemanden im Einzelnen ein. Schade, so bleibt einem selbst Joe Rantz höchstens kurz in Erinnerung. Dafür ist das Finale der Achter in den Geschichtsbüchern festgehalten: denn Adolf Hitler setzte damals seine Hoffnung in die deutsche Achter-Mannschaft damit diese die Goldmedaillenserie des Deutschen Reiches fortsetzen und ihm somit Prestige einbringen würden. Ob das tatsächlich geschah, oder ob ihm unsere Underdogs aus Washington einen dicken Strich durch die Rechnung machen konnten, könnt ihr im Film nacherleben.

Fazit

The Boys in the Boat bietet zwar auch Nicht-Ruderern gute Unterhaltung und eine packende Geschichte von 8 Jungs die der damaligen grossen Depression entfliehen wollten. Aber wie bereits angemerkt, bleibt der Film in seiner Charakterzeichnung zu oberflächlich! Gerne hätte man mehr über Ängste, Freunden, Ansporn der Einzelnen erfahren. Nichtsdestotrotz weiss der Film den Zuschauer über 2 Stunden zu fesseln und mitzureissen. Denn dass die historischen Gegebenheiten zwar angedeutet werden, aber dem Rudersport zu liebe in den Hintergrund rücken, sei dem Film in dem Fall verziehen!

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