Same procedure as every year: Das NIFFF ruft, alle Filmfans pilgern gen Mekka, aka Neuenburg. Dem Ruf fantastischer Filme kann von der Kultmoviegang in diesem Jahr leider nur ich Folge leisten, meine Mitautoren Ronny Kupferschmid und Dr. Elwood Stantz müssen sich schweren Herzens entschuldigen lassen. Aber auch ohne tat- und schreibkräftige Unterstützung der Gang werde ich versuchen, einen möglichst vielfältigen Querschnitt durch das diesjährige Filmprogramm zu ziehen. Als Bonus gibt es sogar den Meister des 80er Jahre Actionkinos John McTiernan zu sehen, der heuer Mitglied der Internation Jury des NIFFF ist. Und viel redseliger als viele Titelhelden aus seinen Filmen.

Mad Fate (2023)

Der namenlose Wahrsager und Feng Shui-Meister, der gerade ein missglücktes Ritual mit einer Klientin hinter sich hat, trifft auf Siu Tung, dessen Horoskop ihn in Angst versetzt: der Lieferant wollte zufälligerweise am Schauplatz eines Mordes Essen liefern, war jedoch von der noch Blut tropfenden Leiche angezogen und stapfte in der Blutlache, anstatt etwas zu unternehmen. Kommt dazu, dass Siu Tung von Messern aller Art fasziniert zu sein scheint, seine Aggressionen ab und an nicht im Griff hat und bereits einmal im Gefängnis war. Somit scheint klar: Siu Tung ist gefährdet, selbst mal einen Mord zu verüben! Sein selbsternannter Retter will das mit seinen Ritualen, Wundermitteln und Talismännern und seiner hektischen Art abwenden und so sein Schicksal ändern. Nicht zuletzt auch, um sein eigenes Versagen aus der Vergangenheit wieder wettzumachen und da ihm mehrfach prophezeit wurde, er werde aufgrund seiner Familiengeschichte psychisch erkranken. Ganz selbstlos ist sein Handeln also doch nicht. So muss Siu Tung für seine „Errettung“ den Arrest in einer improvsierten Zelle, skurile Bannrituale und mehr über sich ergehen lassen. Die Komödie, die gerne für einen Thriller gehalten würde, überrascht durch irrwitzige Wendungen und wird, ihren düsteren und blutigen Szenen zum Trotz, zu einem lebensbejahenden Film.

The Cuckoo’s Curse (2023)

Wohnungstausch mit Fremden über ein Onlineportal? Nur zu gerne nimmt das werdende Elternpaar Anna und Marc aus Barcelona die Gelegenheit wahr, um vor der Niederkunft ein letztes Mal unbeschwerte Ferien zu Zweit zu geniessen. Das gastgebende deutsche Rentnerpaar Olga und Hans kommt zwar überschwenglich freundlich rüber, aber ihre feudale Villa im Schwarzwald lässt keine Wünsche offen. Allerdings werden nach und nach Zweifel wach: welche Art von Tausch haben Olga und Hans wirklich vor? Die paranoid wirkende Spannung baut sich langsam, aber kontinuierlich auf, entlädt sich im schockierenden Finale. Die deutsch-spanische Koproduktion wurde von Produzentin Mar Targarona umgesetzt, welche auch anlässlich der International Competition am NIFFF zugegen war. Mit einer cleveren Story, einem Auge für Details, unter anderem der schon oft rezitierten, legendären Duschszene aus Hitchcock’s Psycho weiss der Film zu fesseln und sorgt für einen Eindruck, der lange nachklingt!

Restore Point (2023)

Wie wichtig regelmässige Backups sind, ist heutzutage wohl allen bekannt. Im Jahr 2041 erst recht. Denn die Technologie ermöglicht es mittleweile, die Daten unseres Gedächtnis zu sichern. Die Verfassung von Prag garantiert ein Recht auf ein vollständiges Leben, ein unnatürlicher Tod kann somit rückgängig gemacht werden. Voraussetzung ist ein Backup, welches nicht älter als 48 Stunden sein darf. Als ein Mordopfer dennoch tot bleiben muss, weil sein Backup von den Servern „verschwand“, nimmt die junge Ermittlerin Em‘ (Andrea Mohylová) zunächst die Terrorgruppe „River of Life“ ins Visier, bis sie auf weitere Spuren stösst – und die führen sie in die höchsten Kreise von Politik und Wirtschaft. Der Film nimmt sich der Unsterblichkeit, die uns alle beschäftigt, an, ohne sich darüber zu mokieren oder in ein surreales Szenario abzudriften. Der tschechische Regisseur Robert Hloz hat mit seinem Erstling einen gradlinigen Science-Fiction-Thriller geschaffen, der sich auch international nicht zu verstecken braucht.

Vincent doit mourir (2023)

Grafiker Vincent (Karim Leklou) ist kein auffälliger oder gar aggressiver Mensch. Eigentlich will er sich nach seinem Beziehungsaus nur noch in seine Arbeit vertiefen können. Als er eines Tages vom Praktikanten völlig überraschend geschlagen wird, hat er kaum Zeit, sich darüber zu wundern, denn andere Attacken von Mitmenschen folgen. Vincent flieht mit Sack und Pack in das Ferienhaus seines Vaters auf dem Land, legt sich einen Wachhund zu und kappt fast alle sozialen Kontakte. Doch ausgerechnet als er mit der Kellnerin Margot (Vimala Pons) zusammenfindet, beginnt das Phänomen zusehends zu eskalieren und gemeinsam suchen sie verzweifelt einen Ausweg… Wenn das ständig zwischen Hast (Flucht) und Gemählichkeit (Erholung) wechselnde Erzähltempo in einem anderen Film nerven würde, wirkt es angesichts des skurillen Szenarios absolut passend. Zumal es einen die offensichtliche Tatsache zu ignorieren hilft, dass die Story keinen Raum für einen wirklichen Plottwist bietet. Der letzte Drittel des Films wirkt im Vergleich zum restlichen Film darum auch arg erzwungen. Fast, als fühlte man sich zu einer Steigerung der Handlung verpflichtet. Der französische Regisseur Stéphan Castang schaffte mit seinem viel beachteten Werk (u.a. Nominierung bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2023) eine Mischung aus schwarzer Komödie und Thriller, der uns ohne Erklärung zum Phänomen zurücklässt, aber dafür mit der mit der sich aufdrängenden, bangen Frage „Was wäre, wenn wirklich…?“

Acide (2023)

Was, wenn der Regen nicht nur sauer, sondern toxisch und ätzend vom Himmel fällt? Durch die Erderwärmung steigt der Säuregehalt in den Wolken rasant an, Gewässer werden zu unüberwindbaren Gefahrenzonen, Leitungswasser kann nur noch mit äusserster Vorsicht getrunken werden. „S het mi verseichet“ wäre hier also völlig untertrieben. In dieses gar nicht mal so abwegige Szenario bettet Drehbuchautor und Regisseur Just Philippot den Teenager, Selma welche, durch ihre getrennten Eltern Michal und Élise flankiert, der Klimakatastrophe Richtung Belgien zu entkommen versucht. Während sich die Familie einen Weg durch Frankreich bahnt und immer wieder auf Hindernisse trifft, müssen sich Tochter, Vater und Mutter auch den zwischenmenschlichen Problemen untereinander stellen. Obwohl die Stimmung des Films beklemmend und real rüberkommt, wirkt sich das so gar nicht glaubhaft rüberkommende Trio gar toxisch auf den gesamten Film aus. Schliesslich erwartet das Publikum ein paar Identifikationsfiguren zum Mitfiebern und das wiederum setzt das Verstehen der Charaktere voraus. Die anfängliche Spannung vermag der Film trotzdem mitzunehmen, was nicht zuletzt den packenden, grosszügig eingesetzten Themes von Moritz Reich geschuldet ist. Der Film wurde im Rahmen der Cérémonie de clôture des NIFFF im Openair gezeigt. Das Wetter an diesem Abend war übrigens für den Film unpassend trocken und wolkenlos, was aber niemand von uns Anwesenden betrübt hat…

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