Kurz:

Der neue Wilhelm Tell ist eine Frau mit blutigen Zöpfen.

Lang:

Gab es bis jetzt einen Film, mit dem wir uns so verbunden fühlten? Nein. Wir haben den Entstehungsprozess von „Mad Heidi“ miterlebt und unterstützt, wie es uns nur möglich war. Bereits die Grundidee und der prognostizierte Trash-Faktor haben uns begeistert. Die Macher sind gerngesehene Gäste an unseren Screenings, dazu sind sie auch geschätzte Filmnerds, mit denen man (zu) lange über Filme diskutieren kann. Kurz gesagt: Wir waren bereits beim Dreh vom Konzept-Trailer von „Mad Heidi“ an Bord. Und die Begeisterung für das Projekt hat seither nicht nachgelassen.

Von Johanna zu Johannes

„Mad Heidi“ ist eine sehr eigensinnige Interpretation von Johanna Spyris “Heidi”. In der Version der Co-Regisseure Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein ist Heidi, gespielt von der Newcomerin Alice Lucy, kein Kind mehr. Sie ist eine junge Frau, die mit Geissenpeter nicht nur in einer platonischen Beziehung lebt. Das Dilemma, welches sich bereits zu Beginn zeigt: Peter dealt. Und zwar mit illegalem Bergkäse. Ja. Illegal, weil diese Art von Handel von Staates wegen verboten ist. Nicht etwa wegen hygienischer Vorschriften. Nein, sondern, weil die Confoederatio Helvetica den Käse strengstens reguliert. Diese Regelungen verfolgen ein Ziel: Die Monopolstellung in der Käsewirtschaft und Macht von Präsident Meili, gemimt durch Caspar Van Dien (Starship Troopers, Sleepy Hollow), zu sichern. Um das dystopische Setting abzurunden: Meili setzt als exekutiven Machtapparat eine faschistische Einheit ein, die sich „Morgenstern-Miliz“ nennt.

Schnell wie ein Berner

Die sogenannte Pace von „Mad Heidi“ ist rasant. Und dabei actiongeladen, gewaltvoll, blutig und unglaublich unterhaltsam. Nach knapp 90 Minuten hat man das Gefühl, der Film habe erst begonnen. Zeit für langweilige und überflüssige Szenen gibt es nicht. Das ist wohl die grösste Stärke, die man dem Film zusprechen muss. Einfach eine Wucht.

Die Geschwindigkeit der Erzählung hat aber auch einen Nachteil: Wir haben uns gewünscht, dass wir mehr Zeit haben, die Welt zu entdecken und die Charakterentwicklungen besser mitzuerleben.

Exploitation ausschlachten

Wir haben uns köstlich amüsiert, wie Schweizer Klischees ausgeschlachtet und Heimatfilme parodiert wurden. Von Anal-Cervelat bis zur Zwangs-Käsefütterung. Auch wenn es manchmal geschmacklos ist. Und das Matterhorn, das alpine Symbole des Heimatfilms, taucht spasseshalber in Burgdorf und Maienfelden auf. Ein Alptraum für jeden Geologen. Der Rest der Schweiz ist amüsiert.

Aber „Mad Heidi“ ist nicht nur „Swissploitation“ wegen des Schweizer Heimatfilms. Er zollt in vielen Szenen dem Exploitation-Genre – also den reisserischen Produktionen aus den 70ern und 80ern Jahren mit geringem Budget – liebevoll Tribut: Die brutalen Morgenstern-Soldaten sind durch den Naziploitation inspiriert oder die masochistischen Gefängniswärterinnen aus Filmen wie The Big Doll House entlehnt, um nur einige aufzuzählen.

Besser ausschlachten

Was dieses Werk jedoch anders macht als seine Inspirationsquellen: “Mad Heidi” ist handwerklich ein gut produzierter Film, schafft es aber zeitgleich den Charme und den Trash-Faktor der meist stümperhaften Heimat- oder Exploitation-Filme einzufangen. Besonders fällt das bei der Geschichte und dramaturgischer Struktur auf. Die Erzählung ist linear, hat keine Plot-Löcher wie ein Emmentaler und der Zuschauer sitzt in einem Spannungs-Matterhorn-Blitz mit angenehmen Höhen und Tiefen. Das Ganze ist nicht nur eine unkonventionelle Idee mit einem spannenden Poster. Nein. Das Drehbuch ist durchdacht und spitze.

Schweizer Qualität

Der ganze Cast und die Crew müssen erwähnt werden. Auch wenn nicht alle aus der Schweiz kommen. Denn in den Streifen ist extrem viel Herzblut gelaufen und das spürt man. Wenn du das jetzt liest und dich angesprochen fühlst, bist du gemeint, du grossartiger, mitwirkender Mensch. Merci!

Obwohl computergenerierte Bilder verwendet wurden, wird einem als Horrorfan ziemlich schnell klar: “Mad Heidi” ist voller praktischer Effekte. Sowas verleiht einen unerklärlichen Qualitätsschub, wenn Latex-Köpfe explodieren und das ganze Kunstblut aus einer Attrappe sprudelt.

Was auch noch zu erwähnen ist, sind die Set-Designs. Besonders beim Arbeitszimmer von Fräulein Rottweiler – wunderbar Katja Kolm – möchte man sich die Zeit nehmen, jedes skurrile Detail zu beobachten, welches sich wohlig-biederen Zimmer mit aggressiv roten Tapeten befinden.

Zusätzlich zum Retro-Gefühl trägt die Kolorierung und Bearbeitung des digitalen Zelluloids bei. Dem Filmliebhaber werden Details wie die Körnung oder Lichtdecke auffallen. Wir fanden auch wenig Blautöne und sehr viel verwaschene Farben in den Bildern, die bei uns die Nostalgie nach alten 70er-Jahren-Filme erweckten.

Zuletzt muss erwähnt werden, dass „Mad Heidi“ wunderbar durch die stimmungsvolle Musik abgerundet wird. Hauptsächlich wurde diese von dem virtuosen Mario Batkovic komponiert. Dabei hat er die Atmosphäre so gut aufgefangen, dass wir das Gefühl hatten, in einem Spaghetti Western zu sitzen.

Kein Nazi-Gold

Die Entstehungsgeschichte und die unkonventionelle Finanzierung des Projekts sind ebenso interessant wie der Film an sich. Tero Kaukomaa (Iron Sky, It Came from the Desert) und Valentin Greutert (Amateur Teens, Paradise War: The Story of Bruno Manser) wurden als auserwählte Filmproduzenten mit der Idee bekannt gemacht und haben das Potenzial sofort erkannt. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Idee werbewirksam im Netz verbreitet: Zuerst mit einem Plakat und einer Fangruppe auf Facebook, die zu Beginn den Namen „Heidiland“ trug. Anschliessend wurde im Grindhouse-Stil ein Schein-Trailer gedreht, der die Fähigkeiten der Macher zur Schau gestellt hat. Und ab diesem Zeitpunkt wurde die demokratisierende Werbe- und Geldmaschinerie vollständig angeworfen: T-Shirts, Absinth, Statistenrollen und sogar Fan-Produzenten-Titel wurden zum Kauf angeboten. Man begnügte sich aber nicht einfach mit einem klassischen Crowdfunding-System. Um die Vision vom Film professionell umsetzen zu können, ging man einen Schritt weiter. So wurde “Mad Invest” lanciert. Diese Finanzierungsform erlaubte es Kleininvestoren zu finden, welche durch ein Blockchain (nein, das ist mehr als nur Bitcoins) gesichertes System der britischen Firma FilmChain LTD betrieben wird. Dabei konnten Fans und Investoren Anteile von je CHF 500.00 an der Produktion erwerben. Diese Anteile erlauben es während ein paar Jahren am Film-Umsatz beteiligt zu sein. 538 Investoren aus 19 Ländern später wurde das Ziel von CHF 2 Millionen erreicht. Gegen Ende flossen finanzielle Anstupser von verschiedenen staatsnahen Institutionen, sodass das Budget am Ende über das Durchschnittsbudget eines Schweizer Films kletterte.

Informationen zu Vertrieb von Mad Heidi gefälligst? Gerne doch. Die Gesellschaft mit dem Namen “Swissploitation Films GmbH” hat sich noch zwei weitere, grosse Ziele gesetzt: Den traditionellen Vertrieb von Filmen aufzubrechen und Film-Piraterie einzudämmen. Wie das gemacht wird? Nun, indem “Mad Heidi” ab dem 8. Dezember 2022 international nur auf der eigenen Webseite gestreamt werden kann. Damit werden Vertriebsagenten durch Mundpropaganda ersetzt und lokale Verleiher für jedes einzelne Land übergangen. Da der Film in der digitalen Form zur gleichen Zeit überall auf dem Planeten verfügbar sein wird, werden die Seeräuber des Cyber-Meers weniger Interesse und Zeit haben, ihre Rip-Säbel zu zucken und die Torrent-Sägel zu hissen, da das Schauen von “Mad Heidi” zentralisiert, einheitlich und somit einfacher zugänglich ist.

Zusammengefasst wurde ein interessantes Marketing-Konzept mit exorbitanten Kundenbindungs-Möglichkeiten zum Nachahmen bereitgestellt und ein Signal an das klassische Film-Vertriebssystem gesendet. Jetzt bleibt abzuwarten, wie viel Geld für die “Mad Investors” generiert wird.

Fazit:

Ein wenig Tarantino, eine Prise Verhoeven und einen Teelöffel Troma. „Mad Heidi“ ist unser wahr gewordener antifaschistischer Wunschfilm aus der Schweiz, welcher uns durch stark überzogene Gewalt, schnellem Pacing, zynischem Humor und cleveren Anspielungen überzeugt. Bereits jetzt ein Kultklassiker. Nur schade, dass sich tendenziell mehr linksgerichtete Personen über Sexismus und Rassismus im Film beschweren werden. Wir würden uns mehr Konservative im rechten Politspektrum wünschen, die sich über einen schwarzen Geissenpeter in einer traditionellen Tracht empören. Hauptsache Aufmerksamkeit für eine innovative, rebellische und Fan-finanzierte Produktion.

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